Die Idee



















Angefangen hat alles vor 10 Jahren mitten in der Boom-Zeit des Inlineskatens mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen. Es ging um den Vulkanradweg, einen damals 78 Kilometer langen, bestens asphaltierten Radweg auf einer alten Bahnstrecke in der Wetterau, also ziemlich im Zentrum Deutschlands.
Ohne genau zu wissen weswegen, ist dieser Artikel in mein Inline Archiv gewandet und wurde Jahre später zum Kristallisationskeim einer kühnen Idee, die 2013 in die Tat umgesetzt werden soll: Der Durchquerung Deutschlands auf Inlineskates - ohne Transferstrecken und zusammen mit einer Horde gleich gesinnter Inlineenthusiasten im besten Alter, weise und dennoch ausgerüstet mit einer gesunden Risikobereitschaft, der Freude an der gemeinsam erzeugten Geschwindigkeit, dem Gespür für den Rhythmus der Gruppe, einem überdurchschnittlichen Maß an Leidensfähigkeit und grenzenloser Ausdauer.

Die Richtung und der Charakter des Vulkanradwegs stehen Pate für die gesamte Tour: Diagonal von Süd-Westen nach Nord-Osten soll es gehen, mit dem Wind im Rücken. Auch wenn die inzwischen 94 Kilometer des Vulkanradwegs nur gerade mal 6% der Gesamtstrecke ausmachen, so soll deren Charakter der Gradmesser für die vollständigen 1500 Kilometer sein. Es gilt möglichst verkehrsfrei in herrlicher Umgebung auf gutem Untergrund quer durch die Republik zu skaten.

Bis 2007 habe ich immer wieder Gelegenheiten genutzt, die inlinetechnische Anbindung des Vulkanradweges mit der mir vertrauten Rheinebene im Südwesten zu recherchieren, ohne zu diesem Zeitpunkt darüber hinaus zu denken. Die 500 Kilometer von Freiburg an den Fuß der Rhön erschienen mir verwegen genug. Die längste Inlinestrecke, die ich zu diesem Zeitpunkt an einem Stück geskatet war, war der One-Eleven in der Schweiz. Erst mit den Jahren ist ein Faible für lange Inlinetouren gewachsen. In zwei Tagen von Freiburg ins französische Besançon (250 Kilometer), an vier Tagen bis ins Burgund hinunter nach Mâcon (445 Kilometer), ebenfalls in vier Tagen von Freiburg nach Landquart in der Schweiz (420 Kilometer), die 24h von Le Mans im Alleingang, die Nord-Süd-Durchquerung von Mallorca an einem Tag, dann mit 10 Skatern an 8 Tagen in einer 1000 Kilometer langen Schleife durch die Schweiz, über das Jura-Massiv und über Frankreich wieder zurück - ein Traum! Das war 2010. Und schließlich in diesem Jahr die Organisation des 'Skate & Rail Ultras', 1200 Kilometer auf einer ähnlichen Route wie 2010, allerdings an 12 Tagen mit 12 tollen Skatern aus fünf verschiedenen Ländern. Die Erinnerungen sitzen noch tief.

Nach diesen Erfahrungen weiß ich, dass es geht - und auch wie. Was besonders schön ist, ist zu wissen, dass es noch andere Verrückte gibt, die ebenfalls mit solchen Gedanken schwanger gehen und bereit sind, gemeinsame Sache zu machen. Auch wenn wir alle auf die ein oder andere Weise Einzelgänger sind, ist das Erlebnis in der Gruppe intensiver, vielschichtiger, lustvoller und oft auch einfach die sicherere Lösung. Bei einem solchen Unterfangen werden Situationen nicht ausbleiben, bei denen es sich erweist, wie viel leichter es ist, wenn man sich gegenseitig helfen kann. Manchmal reicht schon eine kleine Priese Windschatten oder nur die Anwesenheit eines anderen Skaters in endlos scheinender fremder Prärie. Ich weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, dass nach Tagen dauerhaften Skatens die Konzentration nachlässt und die Sinne gelegentlich abschweifen. Wenn in einem solchen Moment der Bauer mit seinem Turbohexler um die Ecke schießt, ist es immer besser, nicht alleine zu sein.

Ab 2008 habe ich mich in den Norden auf gemacht. Streckenrecherche kann sehr mühsam sein, aber auch sehr erfüllend. Wenn sich nach tagelangem erfolglosem Umherirren plötzlich eine noch frisch dampfende pechschwarze Asphaltpiste vor dir auftut, wo du sie niemals erwartet hättest, ist das wie ein Sechser im Lotto. Ich bekomme leuchtende Augen und singe innerlich Hosianna. Roald Amundsen kann sich bei der Entdeckung der Nordwestpassage nicht anders gefühlt haben.

Ich habe zunächst die nahe liegende Variante verfolgt: Ab der Rhön entlang der Flüsse Fulda und Weser streng nach Norden. Flussbegleitende Radwege sind bekanntlich flach und vielfach gut ausgebaut. Hinter Kassel war das Wesertal jedoch über eine Länge von mehreren Kilometern so stark eingeschnitten, dass neben dem Fluss nur noch eine Bahnlinie und die vierspurig Bundesstraße Platz fand. Man hätte ein paar Stationen mit einem Touri-Dampfer fahren müssen. Das wäre sicherlich zu verkraften gewesen. Was mich allerdings in Niedersachsen erwartete, war Asphalt ältester Prägung, Betonplatten aus Wehrmachts Zeiten und wassergebundene Fahrbahndecken, sprich Feldwege. Und das Ganze auf einem abartigen Zickzack Kurs mal rechts, mal links der Weser, jede nur erdenkliche möglichst billige Lösung für den Radverkehr nutzend. Wie dieses Gebilde zum "beliebtesten Radwanderweg in Deutschland" gewählt werden kann, ist mir schleierhaft. Sehr viele Kompromisse in Kauf nehmend, habe ich mich tatsächlich bis Bremen durchgeschlagen. Ab hier sollten die Radwege entlang der Küsten wieder bessere Qualität bieten, so meine Hoffnung. Aber auch die wurde überwiegend nicht erfüllt.

Die Idee lag eine zeitlang auf Eis, sie war aber schon zu weit gediehen, um sie vollends aufzugeben. Monatelange Internetrecherchen, Kartenstudium, der Kontakt zu Skatern der Region und schließlich brachte eine erneute Reise den Durchbruch. Über den Milseburg- und Ulstertal-Radweg war schnell eine traumhafte Variante gefunden, die eindeutig in Richtung Nordosten wies. Welcher ambitionierte Skater kennt nicht den Flämingskate südlich von Berlin, diese phantastische Skaterbahn auf der wir seit 2004 immer wieder hunderte von Trainingskilometern abgespult haben? Genau in diese Richtung wies die neue Variante. Sollte es möglich sein, den Flämingskate in die Deutschlandquerung einzubauen? Ein verlockender Gedanke.

Viel Geld ist in den Aufbau-Ost geflossen. Auch so mancher Soli von mir. Erfreut konnte ich feststellen, dass ich kleiner Skater jetzt unverhofft von meiner allmonatlichen Spende profitieren sollte. Ein neuer Radweg reiht sich an den nächsten. Besonders in Brandenburg. Im Vergleich zu Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind das paradiesische Verhältnisse.

Ich wusste, dass eine Reihe alter Braunkohleabbaugebiete renaturiert und für Naherholungszwecke umgestaltet worden sind. Die DDR hat an über 600 Orten für den Tagebau an der Erdkruste herum gebohrt. Viele der großflächigen Löcher wurden inzwischen geflutet und mit herrlichen Wegen umschlossen. So geschehen in der Niederlausitz, an der Goitzsche in Sachsen-Anhalt, im Sächsischen Seenland und im Geiseltal westlich Merseburg, um nur einige zu nennen. Die Speedskater aus Halle und Leipzig haben die Goitzsche und den Schladitzer See für sich entdeckt. Es gibt also reichlich Inline Spots auf dem Weg zum Flämingskate. Und hinter dem Flämingskate Richtung polnische Grenze lässt ein weit verzweigtes Radwegenetz hoffen, dass es ein Durchkommen bis zur Oder gibt, ohne die Skates abschnallen zu müssen. An der Oder entlang gelangt man zur Ostsee, so meine Hypothese.

Alles in Allem wurde diese Hypothese bestätigt. Sicher ist manch übles Stück dabei. Mal ein Dutzend Kilometer auf einer mittelmäßig stark befahrenen Straße, welche im Konvoi sicher zu bewältigen sind. Mal ein paar abenteuerliche Betonplatten, mal ein schmaler Asphaltstreifen auf einem flussbegleitenden Damm und in Brandenburg und 'Meck-Pomm' immer wieder in den Ortsdurchfahrten wenige Meter auf unskatebarem Kopfsteinpflaster. Und zwar solches, welches den Namen wirklich verdient. Dazwischen viele viele Kilometer purer Genuss ...sofern wir mit über 1000 Kilometern in den Beinen noch fähig sein werden, das Skaten zu genießen.

Die fertig recherchierte Strecke hat eine Länge von 1560 Inlinekilometern. Wenn wir die hinter uns haben, spendiere ich Strandkörbe für alle im weißen Sand von Bad Karlshagen. Der Strand ist wirklich sehenswert.
Ob die Reise 13 oder 14 Tage dauern wird, ist zur Zeit noch in der Diskussion. Vieles spricht für einen rollenfreien Tag zur Halbzeit. Das wäre dann z.B. in Eisenach. Da könnte man im Schwimmbad abhängen oder Kultur machen und auf die Wartburg steigen. Wer sich berufen fühlt, mir dazu seine Meinung mitzuteilen, der möge dies bitte tun.

Generell skaten wir täglich zwischen 115 und 145 Kilometer. Das ist über die Dauer von 14 Tagen sehr viel! Die Etappenlängen richten sich nach der Qualität der Strecke (siehe Qualimatrix). Stadtdurchfahrten, wechselnde und raue Beläge sowie Passagen zu Fuß gehen zu Lasten der Geschwindigkeit. Etappen mit diesen Hindernissen sind eher kürzer. Etappen von der Flämingskate-Qualität sind länger. Nur die letzte Etappe ist mit 60 Kilometern eher ein gemütliches Ausrollen: Eine zünftige Kutterfahrt über das Stettiner Haff, dann ein bisschen Polenmarkt, dann ein bisschen Ostseeprommenade und schon sind wir am Ziel.

Die Länge der Etappen bringt es mit sich, dass wir es anstreben, in einer kompakten Gruppe zu rollen. Wollen einzelne Skater, Pärchen oder Trios ihr eigenes Tempo fahren, möchte ich das von vornherein aber nicht ausschließen. Erfahrungsgemäß schafft man es in den ersten Tagen noch, sich auf ein gemeinsames Tempo zu einigen. Das wird im Laufe der Tour aber schwieriger, da jeder mehr und mehr mit sich zu kämpfen hat. Kommt für einen Moment etwas mehr Zug in die Gruppe, mag es für den ein oder anderen schon unerträglich sein. Ist es eine Pause zu viel oder eine zu wenig, kann das schnell zu erheblichen Verstimmungen führen. Man wird eben auch dünnhäutig mit der Zeit. Um nachhaltigen Ärger zu vermeiden, sollen die Genervten dann ruhig die Etappe so gestalten, wie sie es für angenehm halten. Das hat bisher gut funktioniert. Sie müssen allerdings in der Lage sein, sich selbst zu navigieren. Die Tracks der Strecke stelle ich natürlich den Teilnehmern zur Verfügung.

Ist eine Etappe aufgrund des Wetters unskatebar, steigen wir in den Begleitbus und fahren ins nächste geplante Quartier. Nur so lassen sich alle Quartiere im Vorfeld buchen. Da es sich bei dem Begleitbus um einen 9-Sitzer handelt, muss der Bus zweimal hin und her pendeln.

Prinzipiell steht der Bus auch all denjenigen zur Verfügung, die sich aus welchen Gründen auch immer mal eine Auszeit von der Rollerei nehmen und die Beine hoch legen wollen. Herbert, unser Busfahrer, freut sich über jeden (stinkenden) Skater, der ihm Gesellschaft leistet.

Neben unserem Busfahrer werden uns wahrscheinlich ein paar Radfahrer begleiten. Es sind schon einige Aspiranten im Gespräch. Darüber hinaus können hauptamtliche Skater auch ihr Rad mitnehmen, um gegebenenfalls von acht auf zwei Räder umzusteigen. Dies sollte aber nur eine Lösung für den Notfall sein.

Sofern ich es rechtzeitig gemeldet bekomme, können natürlich auch regionale Skater für eine oder mehrere Etappen dazu stoßen. Es muss eben früh genug angekündigt werden, damit die Betten für die Nacht in ausreichender Anzahl reserviert werden können und die Kapazität der/des Begleitfahrzeuge(s) nicht erschöpft ist. Kann sich jemand nur für eine Woche Zeit nehmen, werden wir eine Möglichkeit schaffen, ihn eben genau so lange mit zu nehmen. Für ihn gilt wie für alle anderen, dass er für die An- und Abreise selbst zu sorgen hat. Die Kosten für die Tour werden selbstverständlich anteilig berechnet.

Zum Gepäck während der Skaterei ist zu sagen, dass sich eine kleine Lösung mit Platz für 0,7 l Flüssigkeit, weniger fester Nahrung (Riegel, Gels, Nüsse, Bananen, Datteln, etc.) und etwas Raum für die Elektronik (GPS, ipod, Handy, Kamera) und für die medizinische Notversorgung bewährt hat. Wenn noch irgendwo ein Imbus-/Torx-Schlüssel und ein Lager rein passt, umso besser. Auf wenigen Etappen muss ein kurzes Stück zu Fuß absolviert werden. Dazu sollte leichtes Schuhwerk mit einigermaßen fester Sohle mitgeführt werden, z.B. Taucherschuhe aus Neopren. Bei hoher Regenwahrscheinlichkeit ist natürlich deutlich mehr an Bekleidung mitzunehmen. Wird es heiß, kann ein Trinkrucksack von Nöten sein. Erfahrenen Langstrecklern braucht man in der Regel aber nicht zu sagen, wie sie sich ausrüsten müssen. Ich halte diesen Absatz daher lieber kurz. Uns wird es darüber hinaus relativ leicht gemacht, weil wir alle 30 bis 40 Kilometer auf den Begleitbus stoßen. Unserem Busfahrer liegt ein detailliertes Roadbook vor, in dem alle Treffpunkte verzeichnet sind.

Die vergangenen zwei Mehrtagestouren über 1000 und 1200 Kilometer haben gezeigt, dass sich die Teilnehmer einer solchen Veranstaltung beinah zu gleichen Teilen aus wettkampferprobten Speedskatern sowie kilometerfressenden Tourenskatern rekrutieren. In diesem Jahr waren tatsächlich deutsche, schwedische und holländische Marathonmeister dabei. Diese Leute konnten den Marathon einst in 1:10 h skaten. Kein Grund, um beeindruckt zu sein. Die beiden Gattungen können problemlos in Frieden und Eintracht miteinander viel Spaß haben. Wer hier seinen Double-Push zeigen muss, wird mit einem milden Lächeln bedacht. Spätestens am dritten Tag sitzt er mit dicken Beinen und dicken Backen im Bus. Ein Fitnessskate ist bei einer Tour dieses Kalibers kein Makel. Die Körperhaltung ist aufgrund der viel niedrigeren Wandergeschwindigkeit von bestenfalls 20 km/h ohnehin viel aufrechter. Nix Skate Position! Eher Spargel Position. Im Spargelverbund an die Ostsee... ein gutes Motto.

Usedom, wir kommen.

 

 


 





















 

 

 

 

© Speedteam Freiburg, letzte Aktualisierung: 14.10.2012